Runzelstilzchen

Eigentlich gab es schon vorher Anzeichen, die mich hätten stutzig machen sollen. Zwar ist es im Grunde nicht weiter verwunderlich, wenn die Gattin aufs ausführlichste von ihren Umzugsplänen ins lesbische Altersheim schwärmt. Erweckt die Angebetete allerdings den Eindruck, der Einzugstermin sei besser gestern als heute, während sie morgen gerade mal 36 wird… Auch daß sie auf der Straße jedem Rock hinterherschaute, dessen Trägerin mindestens die 60 überschritten hatte, kann frau als ungewöhnliche Vorliebe abtun. Doch an jenem Morgen bekamen diese Eigenarten eine Wendung, die ich niemals vermutet hätte.

Ihr spitzer Schrei riß mich augenblicklich aus dem Schlaf. „Ha!! Guck mal! Guck maaal!!!“ Sie fegte ins Zimmer und ließ sich auf mich plumpsen – auf mir hockte ein Bündel gespannter Erwartung. Mühsam öffnete ich die Augen. Mein Gesichtsfeld war vollkommen ausgefüllt von ihrem reizende Dekollete, das sie allerdings auf recht merkwürdige Weise mit den Händen zusammenquetschte. „Siehst du denn nix?!“ schmetterte es mir, ganz Fragezeichen, entrüstet entgegen. „Sie ist da!! Meine erste Falte ist da!!“ Bevor ich irgend etwas brummeln konnte, war sie schon wieder von dannen. Durch die Schlafzimmertür sah ich sie aufgeregt von Spiegel zu Spiegel hüpfen und in immer neuen Positionen Haut quetschen, ziehen und zupfen. A senior-a was born.

Ich konnte nicht umhin: Ihr Zustand der Erregung und ihre akrobatischen Verrenkungen animierten mich zu weitergehenden Turnübungen. Ich küßte jede ihrer neuen Falten (die für mich ehrlich gesagt lediglich virtuell existierten) ausgiebig, sagte ihnen Hallo und Welcome und wollte der Liebsten ihre morgendliche Prozedur des Teemachens versüßen, indem ich den Saft preßte. Mich nicht weiter um ihre Ermahnung scherend, daß diese Position einer älteren Dame wohl kaum geziemt. schnappte ich mir einen Latexhandschuh und ein Tröpfchen Gleitgel, stellte sie an die Küchenzeile und bahnte mir von hinten einen Weg in ihre Möse.

Wie nicht anders zu erwarten war, ließ sie bald meine Hand willig in sich hineinflutschen. Was allerdings ganz und gar nicht zu erwarten war, waren ihre plötzlichen Schreie der Verzückung: „Wie toll! Am Bauch sind auch welche!“ Oder der Empörung: „Guck, wie meine Titten hängen! Wie olle Zitrönchen!“ Ich versuchte einen Rhythmus zu finden, der Madame von diesen irdischen Dingen ablenkte und ihr genehm war, um sie ins Reich der ekstatischen Verzückung zu geleiten. Vergeblich. Als hätte eine magische Initiation über Nacht stattgefunden, galt ihre ungeteilte Aufmerksamkeit den Auswirkungen des Alterungsprozesses an ihrem Körper. Zu guter Letzt sprang sie mir von der Hand, küßte mich kurz auf die Nase, ließ mich mit meinem triefenden Fäustchen einfach stehen und verabredete sich für später mit ihrer Mutter zum Kaffee im Kranzler.

buch_la_story:

Ich versaute mir übrigens den weiteren Vormittag völlig mit der beiläufigen Anmerkung, auch meine Haut würde Falten werfen, wenn ich sie derart drangsalierte, wie sie es vor den diversen Spiegeln praktiziert hatte. Dachte ich etwa, ich hätte ihr damit einen Gefallen getan? Ein tröstendes Wort gespendet? Ihre kalte Verachtung hielt mehrere Stunden an – bis sie auch an der Hüfte etwas entdeckte hatte, was sie als Alterserscheinung ortete und nicht umhinkonnte, mir diesen weiteren Beweis zu präsentieren. Von diesem Tag an änderte sich unser Leben. Sie überredete die örtliche Regionalgruppenvorsitzende von „SAFIA – Lesben organisieren ihr Alter“, es mit der üblichen Aufnahme-Altersgrenze von 40 Jahren diesmal nicht ganz so genau zu nehmen. Sie fing an, die Erbstücke von ihrer Frau Mama aus den tiefste Tiefen des Kleiderschrankes zu holen und reüssierte in Pelz und Kostüm. Sie schleifte mich zum Seniorentanznachmittag in den Berliner Prater. Die eh schon nicht geringe Anzahl an Tiegelchen und Töpfchen im Badezimmerregal wuchs ins Unermeßliche. Ich bekam eine kurze Einführung, aus welchen ich gefälligst die Finger zu lassen habe, da sie erst „für die Haut ab 40“ und viel zu teuer und überhaupt waren. Ab und zu spürte ich einen Blick ungewöhnlichen Ausdrucks auf meinem Körper ruhen: Er war fast – mitleidig.

Irgendwann bekam ich ein schlechtes Gewissen, daß ich nicht einmal 30 war. Ein Nichts. Ein Niemand. Junges, hohles Fleisch. Drumherum diskutierten feministische Zirkel über den Jugendwahn und seine verheerenden Folgen, und ich brütete darüber, wie ich den Nimbus der Jugendlichkeit schnellstmöglich loswerden konnte. Die zwar unfreiwillig, aber üblicherweise zur schnellen Alterung eingesetzten Mittel – wenig Schlaf, durchsoffene Nächte, viele Zigaretten, anstrengende Affären, verhaßte Jobs – erschienen mir wenig adäquat. Gelegentlich verfiel ich in unkontrolliertes, hysterisches Gekicher, wenn mir wieder mal eine meiner Freun-dinnen mit Grabesstimme von ihrer Weltuntergangsstimmung vor dem bevorstehenden 30. Geburtstag berichteten.

Schließlich wußte ich keinen Ausweg mehr: Ich begann zu kontern. Dabei war mir ein erster wichtiger Punktsieg sicher, allerdings mußte ich wochenlang warten, bis ich diesen Joker einsetzen konnte. Als es dann endlich passierte und sie ihre ersten grauen Haare entdeckte, verwies ich auf meine nahezu komplett grauen Schläfen, mit denen ich bereits als beginnender Twen gesegnet? geschlagen? war. Ha!

Diese Basis galt es auszubauen. Mit dem glaubhaften Verweis auf meine zahlreichen Knieoperationen verweigerte ich bei einem S/M-Spielchen das Niederknien. Beim nächsten Mal lehnte ich die Rolle des Pferdchens wg. erlittenem Bandscheibenvorfall ab. Sie hingegen fing an mit den Knien zu knacken, wenn wir auf dem Bett herumturnten. Wir wurden beide Meisterin darin, uns beim Sex in einigermaßen bequeme Positionen zu ruckeln. Ich sagte ihr, daß ich sie auch ohne Runzeln lieben würde, und sie gewöhnte sich wieder ab, bei der Nachfrage nach meinem Alter noch einige Jahre weniger anzugeben, als eh schon Realität war. Und was das Wichtigste war: Ich schaffte es ihr auszureden, auf meinem Motorrad nur noch mit einem ausklappbaren, geblümten Sitzkissen mitzufahren, das sich doch auch für den Spaziergang unterwegs so gut eignete… Und so lebten sie glücklich und zufrieden bis… Verdammt, ist das da etwa ein Krähenfüßchen?!

Susanne Kaiser
aus Mein lesbisches Auge – Jahrebuch XIIIa

Foto: Julia Kordina